Erste urkundliche Erwähnung Berchums im Jahr 1169

Schriftliche Belege über Jahrhunderte zurückliegende Ortsgründungen sind kaum aufzufinden und so wird ersatzweise auf die Altersbestimmung von Orten mit Hilfe von noch verfügbaren amtlichen Urkunden zurückgegriffen. Zusätzlich erschwert wird dieser Nachweis dadurch, dass sich im Laufe der Jahrhunderte die Ortsnamen häufig verändert haben und nicht in einheitlicher Schreibweise überliefert sind.

Für die Bestimmung der frühestmöglichen amtlichen Datierung des Ortes Berchum könnte eine in ihrer Tragweite und Bedeutung sicherlich wenig spektakulären Urkunde aus dem 12. Jahrhundert des Erzbischofs Philipp von Köln eine große Bedeutung haben. Die Beweisführung, dass es sich hier um das Berchum handelt, das heute einen Stadtteil von Hagen bildet, erweist sich als schwierig. So ist das Original dieser Urkunde aus dem Jahr 1169 nicht mehr erhalten.

Vielmehr liegen nur zwei Abschriften vor, die vermutlich zur gleichen Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts erstellt wurden. Die vermutlich erste Abschrift ist in einem gebundenen Buch in der umfangreichen Abschriftensammlung des Bartholomeus Alfter enthalten. Alfter hatte das Ziel, die Geschichte der kölnischen Erzbischöfe möglichst vollständig zusammenzustellen, und fertigte dazu überwiegend Abschriften historischer Urkunden an. Diese Sammlung Alfter war im Original im Stadtarchiv Köln untergebracht, ist aber nach einem Unfall 2009 nur noch in elektronischer Form verfügbar. Die zweite Abschrift ist ein einzelnes Blatt, das weder datiert noch unterschrieben ist, aber einen zeitlichen Hinweis enthält. Heute befindet sich diese Abschrift im Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland in Duisburg.

Äußerlich unterscheiden sich die beiden Abschriften beträchtlich. Völlig unterschiedlich sind auch die jeweiligen Überschriften über dem eigentlichen Urkundentext. Derartige Überschriften waren in der Zeit, in der die Abschriften erstellt wurden, durchaus üblich und gaben im Wesentlichen eine Interpretation des Abschreibenden wieder. Aufgrund der fehlenden Übereinstimmung bei den beiden Abschriften ist davon auszugehen, dass diese Überschriften kein Bestandteil der Originalurkunde waren. Eine Analyse des eigentlichen Textteils der Abschriften zeigt dagegen eine erstaunliche, nahezu vollständige Übereinstimmung des Inhaltes. Da dieser Textteil auch die in erzbischöflichen Urkunden üblichen Formalien enthält, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass dieser Teil identisch mit der Originalurkunde ist. Die Abschrift im Landesarchiv NRW enthält zusätzlich eine Schlusszeile mit einem Verweis auf einen kölnischen Hofrat Blum und das Jahr 1791. Auch dieser Zusatz geht auf den Abschreibenden zurück und kann natürlich kein Bestandteil der Originalurkunde sein.

Inhalt der Urkunde

Streitigkeiten mit kirchlichem Hintergrund wurden im Mittelalter überwiegend im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit der Bischöfe entschieden. In dem Fall der zugrundeliegenden Urkunde von 1169 führt der Pfarrer von Siberg mit Namen Godfrido darüber Klage, dass sich die Bewohner von Bercheim bei der im Bau befindlichen Kirche in Siberg beteiligen sollten, dies aber wohl ablehnten. Erzbischof Philipp von Köln hat in diesem Streit in der in Soest am 13. November 1169 erlassenen Urkunde seinen Urteilsspruch gefällt. Der Erzbischof lehnt darin das Ansinnen von Pfarrer Gottfried ab und spricht die Leute von Bercheim von jeder Mithilfe und Mitarbeit beim Kirchenbau frei. Allerdings ist diese Befreiung an Bedingungen geknüpft: So muss jährlich zu den Nachtgebeten an Allerheiligen Wachs (wahrscheinlich in Form einer Kerze) im Wert von 10 Dortmunder Münzen geliefert werden. Außerdem müssen die Bewohner von Bercheim an der Sende, einem jährlichen Kirchentag der Pfarrei, in Siberg teilnehmen. Zusätzlich wird der Geistliche von Bercheim dem Pfarrer von Siberg ausdrücklich zum Gehorsam verpflichtet.

Ortzuordnung wechselt im Laufe der Jahrhunderte

In den frühen Interpretationen der Abschriften ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gehen die Autoren von weiteren Urkunden- und Abschriftensammlungen einheitlich davon aus, dass es sich bei den in der Urkunde vom 13. November 1169 genannten Orten Bercheim und Siburg um die rheinischen Städte Bergheim/Sieg und Siegburg handelt. Erst der Hagener Historiker Schnettler zweifelte in mehreren Arbeiten ab 1921 an, dass die Interpretation der genannten Orte zutreffend sei. Er kommt vielmehr zu dem Schluss, dass es sich bei den beiden Orten um die heutigen Syburg (Hohensyburg) und Berchum handelt. Die Publikationen Schnettlers führten zu einem Umdenken bei den wichtigsten Archiven. So änderte das Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland im erläuternden Text die betroffenen Ortsnamen in Hohensyburg und Berchum. Andere Autoren, vorrangig aus dem Rheinland, hielten jedoch bis weit in die 2. Hälfte des 20. Jahrhundert an der alten Interpretation fest. Diese beziehen sich allerdings sämtlich auf die Altinterpretation aus den Urkundensammlungen. Erst im Zusammenhang mit der 850-Jahr-Feier in Berchum entbrannte die wissenschaftliche Diskussion neu: Im Jahr 2019 äußerte Sollbach Zweifel daran, dass die Eintragungen im Landesarchiv zutreffend sind. Das Landesarchiv verweigert eine abschließende Würdigung der aktuellen Diskussion und listet gegenwärtig alle vier in Frage kommenden Ortsnamen als möglich auf.

Die Historische Gruppe Berchum hat sich daraufhin noch einmal intensiv mit der Analyse der beiden Abschriften der Urkunde beschäftigt. Als erstes Ergebnis konnte dabei -wie bereits oben erläutert- festgehalten werden, dass die jeweiligen Überschriften kein Bestandteil der Originalurkunde waren. Die Einlassungen von Sollbach beziehen sich allerdings fast ausschließlich auf die Überschrift der Abschrift im LAV Duisburg und disqualifizieren sich dadurch bereits von selbst. Die Historische Gruppe Berchum hat sich mit dieser eher oberflächlichen Vorgehensweise nicht begnügt und den, als überliefert eingestuften Text der Originalurkunde vollständig und ausführlich analysiert. Die Ergebnisse dieser Studie werden im Folgenden zusammengefasst.

Berchum/Syburg oder Bergheim/Siegburg: Eine Gegenüberstellung

  1. Personen und Namen in der Urkunde

Obwohl in der Urkunde eine Vielzahl von Personen mit Namen aufgeführt wird, erweist sich die Analyse als wenig ergiebig. So konnte in keiner der vier Städte im fraglichen Zeitraum ein Pfarrer Gottfried ermittelt werden. In der Kirche Syberg allerdings wurden im Zuge der Reformation nahezu alle historischen Dokumente vernichtet. Auch die als Zeugen aufgeführten Personen tragen in unserem Fall nicht zur eindeutigen Klärung bei. Sie sind in der Mehrzahl zwar dem westfälischen Raum zuzuordnen, aber es sind auch Vertreter aus dem Rheinland vorzufinden, die allerdings zu den üblichen Ministerialen des Erzbischofs gehörten.  

  1. Kirchenbauaktivitäten

Leider hilft auch dieser Punkt in der Gegenüberstellung nicht weiter. Sowohl für Syburg als auch für Siegburg sind in der Mitte des 12. Jahrhunderts Bauaktivitäten an ihren Kirchen nachweisbar.

  1. Geographische Situation

Eine Mitarbeit am Kirchenbau setzt natürlich eine gewisse räumliche Nähe voraus, damit diese Dienstleistung überhaupt erbracht werden kann. Berchum und Syburg liegen rund 6 km auseinander, der Weg ist zwar beschwerlich, aber die notwendige Überquerung der Ruhr ist angesichts einer Brücke und einer Furt bei Westhofen kein Hindernis. Die Entfernung zwischen Bergheim und Siegburg beträgt rund 10 km, wobei die Sieg mindestens einmal zu überqueren ist. Auch wenn die Wegstrecke beträchtlich länger ist, wäre eine Mitarbeit der Bergheimer beim Kirchenbau nicht unmöglich. Die geographische Situation liefert also kein eindeutiges Ergebnis.

  1. Zugrunde gelegte Währung

Im Urkundentext wird die jährlich zu leistende Abgabe in Dortmunder Münzen berechnet. Im Mittelalter gab es eine Vielzahl von Münzprägestellen. Die Dortmunder Münzen hatten vor allem in Dortmund und seiner Umgebung eine starke Bedeutung. Syburg hatte eine starke Orientierung an den Dortmunder Raum, eine heimische Währung hätte sowohl für die Syburger als auch für die Berchumer eine große alltägliche Relevanz. Die bergischen Städte Bergheim und Siegburg verfügen über keine Verbindung zum Dortmunder Raum. Vielmehr sind diese Städte stark in Richtung Rheinland und damit Köln ausgerichtet. Einen deutlich erkennbaren alltäglichen Nutzen für die Siegburger und Bergheimer hätte deshalb viel mehr eine Münzprägung des Erzbischofs von Köln, zumal Köln im fraglichen Zeitraum die größte Münzstätte des Deutschen Reiches hatte.

  1. Kirchensituation

Wie bereits ausgeführt, gab es im fraglichen Zeitraum sowohl in Siegburg als auch in Syburg eine im Bau oder Umbau befindliche Kirche. Berchum verfügte dagegen über keinen eigenen Kirchenbau. Damit war Berchum aber keine eigenständige Pfarrei und hatte keinen eigenen Pfarrer. Kirchliche Aktivitäten könnten bestenfalls von einem untergeordneten Geistlichen ausgeübt werden. Dies entspricht der Situation wie sie in der Urkunde von 1169 aufgeführt wird. Berchum gehörte kirchenorganisatorisch zu einer anderen Pfarrei. Es sind zahlreiche Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass Berchum zur Pfarrei Syburg gehörte. Damit ergibt sich zwischen Berchum und Syburg genau die Abhängigkeit, die der Erzbischof bestätigte, indem er den untergeordneten Geistlichen dem übergeordneten Pfarrer zum Gehorsam verpflichtete und einen Kirchenbesuch vorschrieb.   

Die Kirchensituation im Bergheim lässt sich bei sorgfältiger Recherche ebenfalls recht eindeutig belegen. In einer Urkunde im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland aus dem Zeitraum 1066-1072 wird dem neu gegründeten Kloster auf dem Michaelisberg in Siegburg unter anderem die Kirche in Bergheim geschenkt. Damit war Bergheim zu diesem Zeitpunkt bereits eine eigene Pfarrei mit eigener Kirche und eigenem Priester. Durch die Schenkung erhielt das Kloster Siegburg zudem das Recht, die Pfarrer in Bergheim zu berufen. Untergeordnete Hilfsgeistliche sind dabei nicht vorgesehen. Die im Jahr 1169 anzutreffende Kirchensituation zwischen Bergheim und Siegburg widerspricht damit eindeutig und unzweifelhaft der im Urkundentext genannten Konstellation.

Abschließende Bewertung

Die Inhalte der nur in Form von Abschriften erhaltenen Urkunde aus dem Jahr 1169 aus heutiger Sicht zu beurteilen, ist mit einer gewissen Unsicherheit und einigen Fragezeichen verbunden. Dennoch lassen sich unter Heranziehung von historischen Fakten und einigen sinnvollen Plausibilitätsüberlegungen Schlüsse ziehen, die insgesamt betrachtet zu einem überzeugenden Gesamturteil führen. Unbedingt notwendig ist es dabei, sich auf die Textpassagen zu beschränken, die in beiden Abschriften identisch enthalten sind und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit Bestandteil der Originalurkunde waren. Offensichtlich erst mehrere Jahrhunderte nach der Ausstellung der Urkunde hinzugefügte Überschriften oder andere Ergänzungen des Abschreibenden können dabei keine Verwendung finden.

Unstrittig ist, dass es sich bei den Kirchenvertretern um einen Pfarrer und einen Hilfsgeistlichen handelt. Fest steht auch, dass Berchum im Jahr 1169 weder über eine Kirche noch über eine Pfarrei oder einen eigenen Pfarrer verfügte. Urkundlich belegbar ist dagegen, dass Bergheim bereits viel früher eine eigene Kirche und einen Pfarrer hatte. Bergheim kann damit nicht der in der Urkunde genannte Ort sein. Gestützt wird dieses Ergebnis zudem durch die Währung Dortmunder Münzen, da nur Syburg und Berchum im Einzugsgebiet Dortmunds liegen. Alle übrigen im Urkundentext genannten Fakten schließen keine der Ortskombinationen aus. Es kann deshalb abschließend davon ausgegangen werden, dass es sich bei den in der Urkunde genannten Orten um Syburg und Berchum handelt. Die 2019 neu entbrannte Diskussion ist damit gegenstandslos. Schnettlers Arbeiten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind weitgehend bestätigt.

(Eine ausführlichere Analyse findet sich in Hörnig/Bohne: Erzbischöfliche Urkunde von 1169 – erste urkundliche Erwähnung von Berchum, Nr. 1 der Schriftenreihe der Historischen Gruppe Berchum, Hagen, August 2022)